Wird geladen...

Fiebersaft nicht lieferbar: Warum bei vielen Arzneien die Versorgung stockt

Köln/Berlin. Fiebersaft für Kinder? Gibt’s derzeit nicht. Zumindest den mit dem Wirkstoff Paracetamol. Stattdessen erhalten Mutter oder Vater vom Apotheker Fieberzäpfchen oder einen vergleichbaren Saft.

Der Paracetamol-Fiebersaft ist kein Einzelfall. Auch Antibiotika, Blutdrucksenker, Krebsmedikamente und Schmerzmittel fehlen. Aktuell sind schon über 1.000 Arzneimittel nur schwer oder gar nicht lieferbar, berichtet Thomas Preis aus Köln, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein: „Die Lieferengpässe werden immer dramatischer!“

Die Pharma-Industrie kann Arzneipreise nicht erhöhen

Und es könnte noch schwieriger werden, warnt Hans-Georg Feldmeier, der Vorsitzende des Pharmahersteller-Verbands BPI in Berlin. „Viele unserer Mitgliedsunternehmen prüfen, ob sie weitere Arzneiproduktionen wegen Unwirtschaftlichkeit einstellen.“

Was ist da los? „Die Pharma-Industrie kann als einzige Branche die enormen Kostensteigerungen bei Wirkstoffen, Vorprodukten und Energie nicht über höhere Preise weitergeben“, erklärt Feldmeier. Die Preise für rezeptpflichtige Arzneien, die die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen, sind seit Jahren durch Gesetze auf niedrigem Niveau festgetackert. Das macht die Produktion hierzulande zunehmend unwirtschaftlich. Sie wandert in Niedriglohnländer ab, nach China oder Indien. Oft gibt es dort nur zwei, drei Lieferanten. Werden Fabriken geschlossen oder Häfen dichtgemacht, gerät die Versorgung schnell ins Stocken.

Besonders bedroht sind davon die sogenannten Generika. Diese günstigen Medikamente enthalten Wirkstoffe, deren Patente abgelaufen sind. Und stellen 80 Prozent der Arzneien, die in Deutschland verkauft werden.

Sechs Cent kostet die tägliche Dosis eines Generikums

Der Preisdruck für sie entsteht – neben Abschlägen und Festbeträgen – durch Rabattverträge: Die Krankenkassen schreiben die Versorgung mit Generika aus. Den Zuschlag gibt es für den oder die billigsten Hersteller. Deshalb kostet die tägliche Dosis eines Generikums abzüglich aller Rabatte im Schnitt nur 6 Cent. Da können viele Firmen nicht dauerhaft mithalten.

 

Das verstärkt einen langjährigen Trend zur Verlagerung der Produktion bei Arzneien und Wirkstoffen. Beim Paracetamol stellte die letzte Anlage in Europa 2008 den Betrieb ein. Heute wird es in Indien produziert. Asiatische Hersteller halten 68 Prozent der Registrierungen bei Wirkstoffen, die für den europäischen Markt bestimmt sind.

Auch die wirtschaftliche Fertigung von Fiebersaft mit Paracetamol wird hierzulande schwieriger. Die Preisobergrenze der Krankenkassen liegt bei 1,36 Euro pro Flasche. Seit zehn Jahren. Unverändert. Während die Kosten für Energie, Vorprodukte, Flaschen und Logistik sowie die Löhne steigen. Kein Unternehmen hält das auf Dauer durch. Fertigten den Fiebersaft vor zwölf Jahren noch elf Hersteller, liefern ihn heute nur noch zwei Firmen.

Kein Wunder, dass die Zahl der Pharma-Unternehmen hierzulande im letzten Jahrzehnt von 820 auf 550 abgenommen hat. Das neue Spargesetz (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz) von Gesundheitsminister Karl Lauterbach verstärkt den Preisdruck noch.

Wirkstoff Paracetamol wird bald wieder in Europa gefertigt

Was kann man dagegen tun? BPI-Vorsitzender Hans-Georg Feldmeier fordert, dass die Branche „ihre Preise zeitnah an die Inflation anpassen kann“. Besonders versorgungswichtige Arzneimittel sollten vom langjährigen Preisstopp ausgenommen werden. Und eine Produktion in Europa solle bei den Rabattverträgen der Krankenkassen mit den Herstellern besonders honoriert werden. Weil Arzneien dadurch teurer werden, steht die Regierung vor der Frage: Wie viel ist sie bereit zu tun für die im Koalitionsvertrag versprochene Stärkung des Pharma-Standorts?

Frankreich zum Beispiel setzt da auf Industriepolitik. Dort will die Firma Seqens bis 2024 eine Fabrik für den Wirkstoff Paracetamol bauen. Präsident Emmanuel Macron verspricht staatliche Förderung.