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Nobelpreis: Chemiker Benjamin List weist Chemie- und Pharma-Industrie neue Wege

Mülheim an der Ruhr. Standing Ovations: Die 350 Beschäftigten und Studierenden des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung im Ruhrgebiet begrüßen den neuen Nobelpreisträger, ihren Kollegen Professor Benjamin List. Bei dem hatte zuvor während des Frühstücks das Handy geklingelt: ein Anruf aus Schweden – das Nobelpreiskomitee.

Stolz reckt der Professor die Faust, aber so ganz fassen kann er die Ehrung noch nicht. „Ich war bisher ein ganz normaler Chemiker“, sagt der 53-jährige Wissenschaftler wenig später in einer Talkshow. „Mit einem Schlag zählt man zum Olymp und kann sich einreihen mit Max Planck und Albert Einstein.“

Preisverleihung durch den schwedischen König in Stockholm

Doch was ist die preiswürdige Leistung von List? Wofür erhält er zusammen mit dem US-Forscher David MacMillan am 10. Dezember in Stockholm vom schwedischen König Medaille und Urkunde? Die beiden Wissenschaftler, so das Nobelkomitee, haben „ein präzises neues Werkzeug zum Bau von Molekülen“ entwickelt, eine ebenso einfache wie geniale neue Form der Katalyse.

Mit dieser Methode stellen Pharma-Unternehmen heute schon Medikamente her, wie etwa ein Präparat gegen Depressionen oder das Grippemittel Oseltamivir. Auch neue Aids-Arzneien wurden so möglich. Sie lassen sich dank List gezielter, effizienter und mit weniger Umwegen herstellen.

Der Professor hatte die geniale Idee, erstmals kleine Moleküle als „Heiratsvermittler“ für die Reaktion zweier Ausgangsstoffe zu einer gewünschten Substanz zu nutzen. Wie das funktioniert? Ein Vermittler-Molekül verbindet sich mit einem Molekül von Ausgangsstoff A. Das verändert sich dadurch so, dass es jetzt leichter mit Ausgangsstoff B zur Wunschsubstanz reagieren kann. Ist das passiert, trennt sich das Vermittler-Molekül von der Wunschsubstanz ab. Jetzt kann es ans nächste Molekül von Stoff A andocken und es mit dem nächsten Molekül B verheiraten. Und so fort.

 

Die zündende Idee hatte List im Jahr 2000 in Kalifornien

Chemiker bezeichnen das als Katalyse. Das Konzept für seine neuartigen Katalysatoren schaute List bei Enzymen ab. Enzyme sind riesige Moleküle, die in unserem Körper den Stoffwechsel ermöglichen, in Waschmitteln reinigen und in Molkereien Käse erzeugen.

Die zündende Idee hatte List, als er im Jahr 2000 in Kalifornien forschte. Er fragte sich: Braucht man wirklich ein riesiges Enzym, um eine Reaktion zu beschleunigen? Oder reicht da vielleicht auch ein einzelnes kleines Molekül aus dem katalytisch wirksamen Zentrum des großen Enzyms?

List versuchte es mit der Aminosäure Prolin. Und siehe da: Sie funktionierte auch solo als Katalysator. Das allererste Experiment, das er gemacht habe, habe gleich geklappt, berichtet er. Damals dachte List: „Wow – das könnte wirklich etwas Großes werden.“

80 Prozent trägt die Katalyse zur Wertschöpfung der Chemie-Industrie bei

Professor Johann Mulzer von der Uni Wien, bei dem List den Doktortitel gemacht hat, sagt: „Das war eine echte Pionierleistung!“ Der zusätzliche Clou des Ansatzes: Mithilfe dieser Katalysatoren (Fachbegriff „Organokatalyse“) kann man Arzneimoleküle gezielter erzeugen. Denn oft gibt es Wirkstoffe in zwei Molekülvarianten, die sich wie linke und rechte Hand gleichen, aber im Körper unterschiedlich wirksam sind. Mulzer: „Durch die Organokatalyse kann man nun leichter ausschließlich die wirksamere Variante herstellen.“

Übrigens: Die Katalyse ist für die Chemie- und Pharma-Industrie extrem wichtig. Über 80 Prozent ihrer Wertschöpfung beruht auf katalytischen Verfahren. In Raffinerien etwa erzeugen metallische Katalysatoren Benzin, Diesel und Kerosin. Der bekannteste Metall-Katalysator ist der im Auto. Er zersetzt umweltschädliche Stoffe im Abgas.

Chemiker List hat noch Lust auf mehr Erfolge und will auch Schwieriges anpacken. „Ich hoffe, ich kann dieser Anerkennung gerecht werden und weiterhin wunderbare Entdeckungen machen.“

 

 

Moleküle als Katalysator: In der Industrie werden sie schon

 

 

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  • Arzneimittelproduktion. Mit kleinen Molekülen als Katalysator werden zurzeit schon ein Arzneimittel gegen Depressionen, ein Grippemittel und Aids-Medikamente hergestellt.
  • Weitere Produkte. Die neuen Katalysatoren erleichtern zudem die Synthese von Pflanzenschutzmitteln und Riechstoffen. Hier sind in naher Zukunft Durchbrüche zu erwarten.
  • Prolin. Mit dieser Aminosäure katalysierte Benjamin List im Jahr 2000 erstmals eine chemische Reaktion. Die Tafel zeigt die Strukturformel des Moleküls. Heute gibt es laut List Dutzende Klassen und Tausende Varianten von Organokatalysatoren.
  • Grüne Katalyse. Das neue Verfahren ist umweltschonender als die vielfach genutzte Metallkatalyse. Denn bei der können (oft schädliche) Metallspuren im Produkt bleiben oder in die Umwelt gelangen.