Zahlen Hidden Champions denn auch höhere Löhne?
Die Löhne liegen im guten Durchschnitt. Die Motivation, beim Besten mitarbeiten zu dürfen, ist für Mitarbeiter wesentlich zugkräftiger, die Fluktuation ist in diesen Firmen sehr gering. Die meisten Hidden Champions sind in der Provinz zu Hause und nicht in den Großstädten. Einerseits sind auf dem Land die Lebenshaltungskosten geringer, andererseits sind die Identifikation der Beschäftigten mit „ihrem“ Unternehmen und der Stolz, dort zu arbeiten, sehr groß. Und so verlassen bei den Hidden Champions durchschnittlich nur 2,7 Prozent der Beschäftigten pro Jahr die Firma – im deutschen Durchschnitt liegt der Wert bei 7,3 Prozent.
Welche Bedeutung haben Forschung und Entwicklung für das künftige Wachstum von Hidden Champions?
Dieser Punkt ist enorm wichtig, vielleicht sogar entscheidend. Denn chinesische Unternehmen vergleichbarer Größenordnung haben heute etwa die dreifache Mitarbeiterzahl in Forschung und Entwicklung wie unsere Weltmarktführer – da muss sich bei uns etwas tun. Nehmen wir Carl Zeiss, den Weltmarktführer in Optik und Photonik: Im Unternehmen arbeiten 3.100 Leute in der Forschung. Bei Hikvision, dem chinesischen Weltmarktführer bei Überwachungskameras, sind in diesem Bereich 9.300 Beschäftigte tätig, also exakt das Dreifache. Nur mit sehr hoher Innovationskraft kann man die technologische Weltmarktspitze halten oder ausbauen. Ich habe 2005 Nokia in Finnland besucht, den damals unangefochtenen Weltmarktführer im Handy-Markt mit fast 50 Prozent Weltmarktanteil. Die Nokia-Manager waren aufgrund dessen auch reichlich unbesorgt: „Wir sind unschlagbar, wir haben 19.000 Mitarbeiter in der Forschung“, hieß es. Drei Jahre später habe ich in Neu-Delhi einen Vortrag des Huawei-Chefs gehört, der sagte: „Wir haben 52.000 Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung.“ Nun, wir wissen alle, wie diese Geschichte ausgegangen ist …
Zu einem anderen Punkt: Der deutsche Mittelstand hat traditionell einen hohen Grad der Eigenkapitalisierung, finanziert sein Wachstum gewöhnlich aus den laufenden Erträgen. Sie raten nun aber neuerdings zur Börsenfinanzierung. Warum?
Nicht umsonst habe ich mein neues Buch im Untertitel „Die neuen Spielregeln im chinesischen Jahrhundert“ genannt. Denn es ist ein Merkmal der chinesischen Firmen, dass sie früh an die Börse gehen und sehr viel Geld einsammeln. Warum tun sie das? Sie investieren es in schnelles Wachstum sowie in Forschung und Entwicklung. Die Frage, die sich deutschen Mittelständlern jetzt stellt, ist also: Finanziere ich das Wachstum meines Unternehmens weiter im Wesentlichen aus dem Cashflow, dann wachse ich damit zwar stetig, aber eben langsam. Oder besorge ich mir anderswo mehr Kapital, um auch an dieser Front mit der chinesischen Konkurrenz mithalten zu können? Ich glaube, da sollten einige deutsche Familienfirmen noch mal nachdenken – und die Börse als zusätzliche Kapitalquelle nutzen.
Hidden Champions sind oft Familienunternehmen und werden über Jahrzehnte von gestandenen Unternehmern geleitet. Ist das ein Vorteil?
Tatsächlich beträgt die durchschnittliche Amtsdauer des Geschäftsführers bei den Hidden Champions 21 Jahre. In deutschen Großunternehmen sind es nur sechs Jahre. Das sagt einerseits viel über das Thema langfristige Orientierung und Strategie aus – das kann aber in Zeiten des Wandels, wie wir sie gerade erleben, auch nötige Änderungen blockieren oder verzögern. Was mir aber wichtig ist: Die letzten 40 Jahre haben gezeigt, wie anpassungsfähig gerade der deutsche Mittelstand ist.
Wie ist es typischerweise um das Thema Führung und Miteinander bestellt?
Wenn es um Prioritäten, Strategien und Prinzipien geht, dann sehen wir immer, dass Entscheidungen oben getroffen werden und unten umgesetzt. Allerdings haben die Mitarbeiter der Hidden Champions viel mehr Entscheidungsfreiheiten und Spielraum in operativen Fragen. Das bedeutet Tempo und Agilität: ein unschätzbarer Vorteil, um am Markt bestehen zu können. Bei manchen Großunternehmen, da will ich jetzt keine Namen nennen, gibt es sozusagen für jeden Handgriff ein eigenes Handbuch … Und der Teamgedanke, der gehört zur DNA von Hidden Champions. Ohne Ausnahme.
Sie beschäftigen sich nun mittlerweile fast 40 Jahre mit dem Thema Hidden Champions, haben sogar den Begriff geprägt. Was reizt Sie daran noch immer?
Dieses Thema bleibt unglaublich spannend, es tauchen immer wieder neue Aspekte und ungewöhnliche Entwicklungen auf. Die Idee ist übrigens in einem Gespräch mit Harvard-Professor Theodor Levitt entstanden. Er fragte mich 1987, warum die deutsche Industrie im Export so erfolgreich sei. Im Jahr davor waren wir zum ersten Mal Exportweltmeister geworden. Mein erster Gedanke war: Naja, das liegt wohl an den großen Konzernen wie Siemens, Daimler, BASF und so weiter. Aber in meiner Arbeit als Professor für Betriebswirtschaft und durch viel empirische Forschung fand ich dann heraus, dass wir diese unglaublich vielen mittelständischen Weltmarktführer haben, die für den anhaltenden deutschen Exporterfolg verantwortlich sind. Diese Unternehmen sind großenteils heute immer noch erfolgreich, trotz rasanter Veränderungen im Weltmarkt seitdem, mit den Phasen der Globalisierung als Hauptwachstumstreiber. Diese Firmen sind heute im Durchschnitt zehnmal größer als vor 30 Jahren!